Mittwoch, 29. Februar 2012

Gedankengänge


Noch immer befinden wir uns in Äthiopien. Noch immer, immer noch. Und trotzdem habe ich noch immer das Gefühl, dass der Kulturschock noch nicht ganz vorbei ist. Noch immer erwische ich mich ab und an, wie ich baff an der Ecke stehe und irgendwas doch noch nicht so ganz normal finde. Das kleine Kind, dass nur ein T-Shirt anhat und mit Mutter und Schwester auf dem Bürgersteig zu wohnen scheint; die Windschutzscheiben, die nach Ausbau einfach auf dem Trottoir liegen gelassen werden (ganz normal); die Leute, die auf dem 50 Zentimeter Grünstreifen, zwischen sechs Spuren Strasse schlafen. An all dem kann ich noch immer nicht vorbei laufen, ohne dass mein Geist daran hängen bleibt.

Die andere Seite gibt es aber auch. Heute blieben meine Gedanken an einem Nebensatz eines Abeshas (local people / Äthiopier) hängen:

Nach zweieinhalb Monaten habe ich es nun endlich auch mal geschafft, mir das Projekt, in dem Dani seinen Zivi beendet hat und das „Zentrum“ nebenan genauer anzusehen. Das Zentrum ist ein Ort, an dem Kriegsveteranen wohnen. Die meisten davon sitzen im Rollstuhl. Die meisten haben keine Beschäftigung. Das ist hier (noch) nicht so Thema wie bei uns. Immerhin werden die Bewohner des Zentrums mit einem Dach über dem Kopf, Essen und Medikamenten versorgt. Die Überlegung, dass man ‚handicapped people‘ mit Handarbeiten beschäftigen (und diese auch noch verkaufen könnte), ist hier einfach noch nicht in den Köpfen angekommen. Alles in allem geht es ihnen besser, als manchen ihrer Landsleute. Dennoch ist es unvorstellbar, wie sie leben. Über manches schaue ich inzwischen einfach hinweg. Aber mir vorzustellen, wie viele dieser Menschen ihre Tage einfach nur mit warten verbringen…

Die Wege zwischen den Häusern sind betoniert. Allerdings liegt der Beton wohl schon eine Weile so dort, denn an einigen Stellen ist er aufgeworfen, gebrochen, gebröckelt. An sich sieht er immer noch ganz gut aus. Aber wenn man im Rollstuhl sitzt, bewertet man Böden im allgemeinen nach anderen Kriterien, als wir ‚Laufenden‘ das tun.
Einer der Bewohner begleitete uns auf unserem Rundgang. Und jedes Mal, wenn wir an eine dieser weniger-guten Stellen kamen, sagte er einfach „you know, it’s a bit difficult“. Manchmal war es sogar „very difficult“. Aber als ich mir dann überlegte, wie der Durchschnittsdeutsche auf so einen SCHEISSWEG reagiert hätte, der ja mal sowas von ÜBERHAUPT NICHT rollstuhlgeeignet ist und wie man so etwas nur belassen kann und warum sich keine SAU dafür zuständig fühlt, das zu korrigieren, weil das ist ja schliesslich sowas von KEIN ZUSTAND! Als ich mir also so Gedanken gemacht habe, wer wie reagieren würde, wurde mir etwas klarer, warum der Durchschnittsdeutsche nicht glücklich ist, die Bewohner des Zentrums einen aber mit klarem, festem Blick, einem Lächeln in den Augen und fröhlich mit der Hand, die eben noch geht, sei es die rechte oder eben nur die linke, oder eben auch nur das Handgelenk begrüssen können. Und dabei zufriedener scheinen als mancher, den ich schon sah, der -im Vergleich- wie Gott in Frankreich lebt.
 Und dann steht man plötzlich da. Und sieht zu, wie einer in einem alten, gebrauchten Rollstuhl aus Europa sitzt, sich über unwegbare Wege müht – und das nicht scheisse, nicht schlimm, sondern normal, halt ein bisschen schwierig findet. Und dann gleich wieder dazu übergeht uns zu erklären, dass da hinten noch der Hühnerstall sei. Da kommt er jetzt aber nicht mit hin, denn es gibt keinen Weg zum Stall, nur Grass. Aber wir sollen nur gehen, er wartet hier auf uns. Den Rollstuhl  hat er übrigens erst seit kurzem. Den hat ihm Mister Bernhard gegeben. Und er sei total toll und viel besser als der alte. Und meine Augen schauen den Rollstuhl an, und meine Gedanken drehen sich darum, dass in Deutschland Rollstühle weggeschmissen werden, die besser sind. Und wenn bei uns einer eine Delle hat, ist er schon kaum mehr was wert, während sie hier unheimlich froh darüber sind, überhaupt einen zu haben.

Und wenn meine Gedanken sich komisch drehen, dann kommen halt viele „unds“ drin vor ;o)

Und nun ein letztes und:
_Und_ damit das ganze jetzt nicht einfach als weiterer Post im Sand verläuft: www.addis-guzo.com heisst das Projekt, in dem Dani seinen Zivildienst beendet hat. "Mister Bernhard" ist Bäne, bei dem wir hier wohnen. Über ihn kamen die Rollstühle hierher. Die Werkstatt, die er hier aufbaut, versorgt die Bewohner des Zentrums, sowie weitere Addis-Abeba-er mit Rollstühlen. Ersatzteile, sowie das notwendige Know-How gehören ebenfalls zum Projektumfang. Spenden helfen! (die notwendigen Infos stehen auf der Homepage.)    [Diesen Absatz jetzt ohne ein weiteres „und“ zu schreiben, viel mir nun wirklich gar nicht mal so leicht ^^.]

Fazit: Manchmal sollten wir nicht denken, dass doch alles scheisse ist, sondern umformulieren: Die Situation als schwierig, aber nicht unschaffbar deklarieren. Uns darüber freuen, was wir haben, statt uns darüber aufzuregen, was schlecht ist und besser sein könnte, müsste. In diesem Punkt können wir uns wirklich was von den Menschen hier abschauen. 

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