Alles im Fluss – Teil 2
29. Januar 2012, Sonntag
Nach vorne schauen. Sich auf das Unbekannte freuen.
Nicht, indem man verzweifelt versucht die Dunklen Flecken
möglichst früh zu sehen, zu verstehen, eine Definition zu finden und darauf
reagieren zu können. Viel mehr insofern, dass man es einfach auf sich zukommen
lässt und es erst dann richtig beachtet, wenn es da ist. Eben alles genau dann,
wenn man davor steht. Wenn es das ist, was das „Jetzt“ ausmacht. Denn wie sonst
kann ich mich auf den Moment konzentrieren? Wie soll ich die Gegenwart nutzen,
wenn ich ständig versuche die Dinge die da kommen zu erkennen? Wie sonst kann
man die einzige Zeit, die „ist“ richtig geniessen?
Gestern ist vorbei, Morgen noch lange nicht da.. Genau
jetzt. Dieser Moment. Auf der Terrasse in Tadjoura,Djibouti. Mit meinem Freund,
nebenan im Zimmer, schlafend. Genau das ist es, was jetzt gerade mein Leben
ausmacht. Die Fahrt heute Morgen hierher ist bereits Geschichte. Mein Kopf
braucht sich nicht mehr damit zu beschäftigen, wo wir heute Abend schlafen. Und
zu überlegen, was der morgige Tag bringt, macht auch keinen Sinn – denn der ist
noch gar nicht da. Vielleicht später, beim Abendessen, können wir darüber
diskutieren. Fragen, was es für Möglichkeiten gibt. Schauen, worauf wir Lust
haben. Aber jetzt, im Jetzt, macht es keinen Sinn darüber nachzudenken. Diesen
einen Moment kann ich genau so gestalten, wie ich es möchte. Und den danach,
der dann das Jetzt ist auch. Verwirrend. Aber eigentlich so einfach. Ich habe
mich hier hingesetzt, weil ich Lust dazu hatte. Weil es das ist, was mir diesen
Moment am schönsten ausfüllt. Und der Moment danach? Was mache ich, wenn mir
nichts mehr zu schreiben einfällt? … Darüber mache ich mir keine Gedanken. Denn
momentan fällt mir noch etwas ein. Und solange dies der Fall ist, bin ich
beschäftigt. Mit dem, was den Moment am schönsten ausfüllt ;) .. Also mache ich
mir erst Gedanken darüber, was ich tue, wenn ich nichts mehr zu Schreiben weiss
– wenn ich auch nichts mehr zu Schreiben weiss.
Denn ich habe festgestellt, dass ich gar nicht der Typ bin,
der dem Fluss entgegen schaut. Ich bin nicht der Mensch, der sich entscheidet,
ob er nach links oder rechts schaut, wenn er am Fluss steht. Im Sinne meines
Seins bin ich ein Mensch, der mit einem Boot (oder Schwimmring, aber dann
friert der Hintern so schnell) AUF dem Fluss ist. Der sich von ihm treiben
lässt. Den Moment geniesst und einfach schaut, wo der Fluss ihn hintreibt und
was unterwegs so alles zu sehen ist. Vielleicht steig ich auch ab und an mal
aus, um mir die Gegend genauer anzusehen. Aber im Prinzip ist das treiben
lassen und geniessen doch das, was ich am meisten geniesse. (So wie jetzt, in
diesem Moment, wo wir an einem Ort sind, an den wir heute Morgen gar nicht
fahren wollten, in einem Hotel, in das wir heute Mittag gar nicht zur
Übernachtung wollten – und das uns nun gerade unheimlich gut gefällt.)
Und wenn ich zwischen den Sätzen den Blick schweifen lasse
und die Geräusche der Brandung in mein Bewusstsein kriechen lasse, muss ich
noch dazu sagen, dass der Fluss auch gar nicht Hundertprozent meins ist. Ich
mag Flüsse. Keine Frage. Am Rhein aufgewachsen und seit einem Jahr nun schon
grosser Fan der Aare, will ich gar nicht schlecht gegen Flüsse reden.
(Schreiben)
Aber das Meer… Ich kann an einem Fluss entlanglaufen. Und
ich finde es schön. Aber ich komme ans Meer und, egal wie kalt es ist, es
drängt mich, zieht mich es zu berühren. Meine Füsse geben stumme Schreie von
sich, um mir mitzuteilen, dass sie dieses Wasser UNBEDINGT berühren müssen. Und
es geschieht unheimlich selten, dass ich ihnen diesen Wunsch entsage. Meistens
gebe ich nach, bevor noch der erste stumme Schrei verklungen ist, bevor ich ihn
überhaupt in mir vernommen habe. Und sind die Füsse erstmal mit dem Meerwasser
im stummen Gespräch versunken, beginnen die Waden ihr Flehen. Dicht gefolgt von
den Knien, Oberschenkeln, …
Das Meer. Endloses sich treiben lassen können. Keine
vorgegebene Richtung. Unsichtbare Weiten, die der Horizont nur erahnen lässt.
Jeder Millimeter, den das Auge sich am Horizont entlang hangelt birgt unendlich
viele Möglichkeiten! Da kann der Fluss, mit seinem starren Lauf, nicht
mithalten. Nun schaue ich aufs Meer hinaus und bedenke all die Möglichkeiten.
Und mir wird mulmig. Wie soll man sich denn da entscheiden? Woher weiss man,
welche man ansteuern soll? Tausend Fragen, die sich diesbezüglich in meinem
Kopf auftun. Und wieder der Gedanke, der alle Fragen zum Schweigen bringt:
Warum soll ich mir darüber Gedanken machen? Jetzt, im Jetzt, bin ich hier. In diesem
Moment, an diesem Ort, in dieser Situation, in dieser Konstellation. Es gibt keinen Grund sich zu sorgen. Keinen
Grund den Kopf mit Fragen zu beschäftigen, auf die er keine Antworten zu finden
vermag.
Also schaue ich weiter aufs Meer hinaus, erfreue mich
schlichtweg an diesem Anblick und merke, dass mir nun nichts mehr zu Schreiben
einfällt. Ich schliesse den Laptop, speichere die Datei und … überlege mir
dann, sobald dies getan ist, was den Moment ausmacht. Womit ich ihn am besten
gestalte. Ob mein Inneres nach etwas verlangt, oder ob es nicht einfach gut
ist, wenn ich hier sitze und aufs Meer blicke, der Brandung lausche und das
Jetzt geniesse. JETZT.