Noch immer befinden wir uns in Äthiopien. Noch immer, immer
noch. Und trotzdem habe ich noch immer das Gefühl, dass der Kulturschock noch
nicht ganz vorbei ist. Noch immer erwische ich mich ab und an, wie ich baff an
der Ecke stehe und irgendwas doch noch nicht so ganz normal finde. Das kleine
Kind, dass nur ein T-Shirt anhat und mit Mutter und Schwester auf dem
Bürgersteig zu wohnen scheint; die Windschutzscheiben, die nach Ausbau einfach
auf dem Trottoir liegen gelassen werden (ganz normal); die Leute, die auf dem
50 Zentimeter Grünstreifen, zwischen sechs Spuren Strasse schlafen. An all dem
kann ich noch immer nicht vorbei laufen, ohne dass mein Geist daran hängen
bleibt.
Die andere Seite gibt es aber auch. Heute blieben meine
Gedanken an einem Nebensatz eines Abeshas (local people / Äthiopier) hängen:
Nach zweieinhalb Monaten habe ich es nun endlich auch mal
geschafft, mir das Projekt, in dem Dani seinen Zivi beendet hat und das
„Zentrum“ nebenan genauer anzusehen. Das Zentrum ist ein Ort, an dem Kriegsveteranen
wohnen. Die meisten davon sitzen im Rollstuhl. Die meisten haben keine
Beschäftigung. Das ist hier (noch) nicht so Thema wie bei uns. Immerhin werden
die Bewohner des Zentrums mit einem Dach über dem Kopf, Essen und Medikamenten
versorgt. Die Überlegung, dass man ‚handicapped people‘ mit Handarbeiten
beschäftigen (und diese auch noch verkaufen könnte), ist hier einfach noch
nicht in den Köpfen angekommen. Alles in allem geht es ihnen besser, als
manchen ihrer Landsleute. Dennoch ist es unvorstellbar, wie sie leben. Über
manches schaue ich inzwischen einfach hinweg. Aber mir vorzustellen, wie viele
dieser Menschen ihre Tage einfach nur mit warten verbringen…
Die Wege zwischen den Häusern sind betoniert. Allerdings
liegt der Beton wohl schon eine Weile so dort, denn an einigen Stellen ist er
aufgeworfen, gebrochen, gebröckelt. An sich sieht er immer noch ganz gut aus.
Aber wenn man im Rollstuhl sitzt, bewertet man Böden im allgemeinen nach
anderen Kriterien, als wir ‚Laufenden‘ das tun.
Einer der Bewohner begleitete uns auf unserem Rundgang. Und
jedes Mal, wenn wir an eine dieser weniger-guten Stellen kamen, sagte er
einfach „you know, it’s a bit difficult“. Manchmal war es sogar „very
difficult“. Aber als ich mir dann überlegte, wie der Durchschnittsdeutsche auf
so einen SCHEISSWEG reagiert hätte, der ja mal sowas von ÜBERHAUPT NICHT
rollstuhlgeeignet ist und wie man so etwas nur belassen kann und warum sich
keine SAU dafür zuständig fühlt, das zu korrigieren, weil das ist ja
schliesslich sowas von KEIN ZUSTAND! Als ich mir also so Gedanken gemacht habe,
wer wie reagieren würde, wurde mir etwas klarer, warum der
Durchschnittsdeutsche nicht glücklich ist, die Bewohner des Zentrums einen aber
mit klarem, festem Blick, einem Lächeln in den Augen und fröhlich mit der Hand,
die eben noch geht, sei es die rechte oder eben nur die linke, oder eben auch
nur das Handgelenk begrüssen können. Und dabei zufriedener scheinen als
mancher, den ich schon sah, der -im Vergleich- wie Gott in Frankreich lebt.
Und dann steht man
plötzlich da. Und sieht zu, wie einer in einem alten, gebrauchten Rollstuhl aus
Europa sitzt, sich über unwegbare Wege müht – und das nicht scheisse, nicht
schlimm, sondern normal, halt ein bisschen schwierig findet. Und dann gleich
wieder dazu übergeht uns zu erklären, dass da hinten noch der Hühnerstall sei.
Da kommt er jetzt aber nicht mit hin, denn es gibt keinen Weg zum Stall, nur
Grass. Aber wir sollen nur gehen, er wartet hier auf uns. Den Rollstuhl hat er übrigens erst seit kurzem. Den hat ihm
Mister Bernhard gegeben. Und er sei total toll und viel besser als der alte.
Und meine Augen schauen den Rollstuhl an, und meine Gedanken drehen sich darum,
dass in Deutschland Rollstühle weggeschmissen werden, die besser sind. Und wenn
bei uns einer eine Delle hat, ist er schon kaum mehr was wert, während sie hier
unheimlich froh darüber sind, überhaupt einen zu haben.
Und wenn meine Gedanken sich komisch drehen, dann kommen
halt viele „unds“ drin vor ;o)
Und nun ein letztes und:
_Und_ damit das ganze jetzt nicht einfach als weiterer Post
im Sand verläuft: www.addis-guzo.com heisst das Projekt, in dem Dani seinen Zivildienst beendet hat. "Mister Bernhard" ist Bäne, bei dem wir hier wohnen. Über ihn kamen die Rollstühle hierher. Die
Werkstatt, die er hier aufbaut, versorgt die Bewohner des Zentrums, sowie
weitere Addis-Abeba-er mit Rollstühlen. Ersatzteile, sowie das notwendige
Know-How gehören ebenfalls zum Projektumfang. Spenden helfen! (die notwendigen
Infos stehen auf der Homepage.) [Diesen
Absatz jetzt ohne ein weiteres „und“ zu schreiben, viel mir nun wirklich gar
nicht mal so leicht ^^.]
Fazit: Manchmal sollten wir nicht denken, dass doch alles scheisse ist, sondern umformulieren: Die Situation als schwierig,
aber nicht unschaffbar deklarieren. Uns darüber freuen, was wir haben, statt
uns darüber aufzuregen, was schlecht ist und besser sein könnte, müsste. In
diesem Punkt können wir uns wirklich was von den Menschen hier abschauen.
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