Sonntag, 16. Oktober 2011

Alles im Fluss


Stellt Euch vor, Ihr steht an einem Fluss. Direkt am Wasser. Die gegenüberliegende Seite ist visuell uninteressant und die Sonne steht genau über Euch.
In welche Richtung schaut Ihr lieber? Dem von Euch fort fliessenden Wasser hinterher oder doch eher dem auf Euch zu fliessenden entgegen?
Gestern habe ich fest gestellt, dass es schön zu sehen ist, wie das Wasser von mir fort fliesst. Ja, geradezu beruhigend. Der Fluss des Flusses ist langsamer, ruhiger, geradezu sanft. Strudel und Wirrungen scheinen sich aufzulösen und zu vergehen; Mitbringsel des Wasser kommen nicht mehr als Unbekannte auf einen zugeschossen, sondern treiben sanft und als etwas ungefährliches erkannt und definiert von einem fort.
Trotzdem. Ich habe festgestellt, dass mich die andere Seite wesentlich stärker zu faszinieren vermag. Den grössten Teil der Zigarette, die ich da am Ufer der Aare rauchte, schaute ich nicht nach links, dem Wasser nach, sondern nach rechts, dem Wasser entgegen. Schnelle Wirbel, in ständiger, hektischer Verwirrung auf mich zu rasend; dunkle Flecken, teils von Schwemmgut, teils von Schatten verursacht, aber erst kurz vor knapp als das ein oder andere definierbar, die unaufhaltsam und unbekannt auf mich zu zu kommen scheinen, um dann ebenfalls erst kurz vor knapp doch an mir vorbei zu driften, dabei aber schon wieder aus dem Blickfeld verschwindend, um neuem Unbekannten Platz zu machen. Unruhe, Unbekanntes und immer immer wieder Neues. Keine Langeweile, nur ab und an ein kleiner Fleck, der ganz unbefangen, unberührt von der Bewegung des restlichen Wassers um ihn rum, einer Insel ruhigen Wassers in unruhigen Gewässern gleich, auf mich zu kommt.
Und trotz der Bewegung, trotz der Unruhe, die da auf mich zukam, stand ich mit einem Mal ganz ruhig. Äusserlich, wie auch Innerlich. Ein Moment mir derzeit unbekannter Stille. Im Durcheinander meines nicht mehr ganz so alltäglichen Alltags war da ein Augenblick ohne Gedanken. Ein Augenblick des stillen Erkennens, des stillen Verstehens:
Meine derzeitige Situation entspricht meiner Person im Verhältnis zum Fluss der Aare. So wie ich gestern Zigarette rauchend da stand. Links hinter mir alles was passierte, was war, was hier bleibt, was ich schon erlebt, aber auch was ich schon von meiner aktuellen ToDo Liste erledigt habe. An der Stelle, an der ich stand, schoss mit unglaublicher Geschwindigkeit, die Gegenwart an mir vorbei. Das Auflösen der Wohnung, der Berg von Papierkram, der zu erledigen ist, die Impfungen, kurzum die Vorbereitungen. Und zu meiner Rechten, die Seite der ich mich zugewandt hatte, der ich interessiert und fasziniert entgegensah - die Zukunft. Die Ungewissheit, das Unbekannte. Die Unruhe, die mich bereits innerlich ergriffen hat, die aber im Prinzip noch gar nicht wirklich bei mir angekommen ist.
Und so stand ich da. Mit Glut an der Zigarette in meiner Hand, ein bisschen Nikotin in den Lungen, ein halbes Grinsen im Gesicht und eine schöne Metapher und Verständnis für meine innere Situation im Kopf.

Ja, das Jetzt fällt mir nicht ganz leicht. Alles rast an mir vorbei. Gerade erst habe ich das Unbekannte definieren können, da ist es schon wieder an mir vorbei, macht Platz für Neues, dem ich meine Gedanken zu widmen habe, weil es unaufhaltsam und unaufhörlich auf mich zu kommt. Aber alles was hinter mir ist, fliesst langsam und übersichtlich, ist erkennbar und ungefährlich. Ab und an kann man einen Blick zurück werfen und merkt, wie schön und idyllisch es da von mir weg fliesst, dem Neuen-Alten Platz machend. Aber das, was wirklich schön und spannend und den Gedanken wert ist; das was Neu und faszinierend ist - sind die Unbekannten die da von rechts auf mich zu kommen. Und auch wenn die Wirbel der Gegenwart mich manchmal schier zur Verzweiflung treiben, sind sie es doch wert, denn ohne Sie wäre keine Bewegung, wäre keine Neuerung, wäre keine Möglichkeit da, dorthin zu kommen, wo das unerreichbare Ziel ist. Denn kein Ziel scheint es mir derzeit Wert ankommen zu wollen: Für die kommende Zeit ist der Weg das Ziel: oder eben die Bereitschaft den Fluss auf mich zu kommen zu lassen. Ihm offen und freudig entgegen zu sehen und mich dafür zu entscheiden eben nach rechts - dem Neuen, dem Unbekannten mit positiver Einstellung entgegen zu blicken.


1 Kommentar:

  1. Das ist toll. So Hab ich das noch gar nicht gesehen.
    Ich werde es mir definitiv zu Herzen nehmen!!!!
    Danke für diese tollen Gedanken.

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